Schienengüterverkehr in der Schweiz
Aktualisiert: 15. Aug. 2022
Nachhaltig in die Zukunft
Stellen wir uns vor, es gäbe keinen Güterverkehr. Kein Brief würde an sein Ziel gelangen, kein Kunde seine bestellten Produkte erhalten und kein Dorfladen mit Lebensmitteln beliefert werden. Dieses Gedankenspiel verdeutlicht: Güterverkehr ist essenziell! Doch trotzdem findet er praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Erst, wenn etwas nicht richtig funktioniert, nehmen wir ihn wahr. Etwa bei den derzeit weltweit gestörten Lieferketten.
In meiner Maturaarbeit behandelte ich vor zwei Jahren den Güterverkehr in der Schweiz, mit Schwerpunkt auf dem Schienengüterverkehr. Dabei zeigte ich auf, wie der Schienengüterverkehr in der Schweiz weiterentwickelt werden kann, um das Ziel eines nachhaltigen Umgangs mit der Umwelt zu erreichen. Dies sowohl durch politische Massnahmen als auch durch unternehmensinterne Verbesserungen des Schienengüterverkehrs. Denn die natürlichen Lebensgrundlagen sind Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft und Wirtschaft, eine hohe Lebensqualität und -zufriedenheit sowie letztlich für alles Leben. Doch was bedeutet «Nachhaltigkeit» überhaupt?
Nachhaltigkeit im Güterverkehr
Ein «nachhaltiger Umgang mit der Umwelt» bedeutet nichts anderes, als weniger Ressourcen zu verbrauchen, als gleichzeitig auf natürliche Art und Weise wiederhergestellt oder ersetzt und für künftige Generationen wieder bereitgestellt werden können, sowie nur so viele Emissionen an die Umwelt zu emittieren, wie diese in der Lage ist, aufzunehmen und abzubauen. Auf den Güterverkehr umgemünzt bedeutet das insbesondere eine Reduktion der Treibhausgasemissionen auf netto Null bis spätestens 2050, des Flächen- und Energieverbrauchs sowie der Luftschadstoff- und Lärmemissionen.
Um die sich daraus ergebenden Fragestellungen für den Schienengüterverkehr zu beantworten, habe ich einerseits eine umfangreiche Literaturrecherche betrieben und andererseits fünf Interviews mit Interviewpartnern aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Gewerkschaft und Wissenschaft geführt.
Der Güterverkehr in der Schweiz stösst aktuell rund 3 Mio. Tonnen CO2 aus und ist für externe Kosten in der Höhe von 2,4 Mia. CHF verantwortlich. Dabei ist insbesondere der Vergleich zwischen Schiene und Strasse interessant: Ein schwerer Lkw stösst pro transportierte Tonne auf einem Kilometer rund 125g CO2-Äquivalente aus, der Schienengüterverkehr 11g (Bild oben). Dasselbe Bild zeigt sich auch beim Energie- und Flächenverbrauch. Durch technologische Entwicklungen - wie etwa elektrisch angetriebene Lkws - lassen sich die negativen Auswirkungen des Strassenverkehrs zwar verringern, doch bleibt der Schienenverkehr um ein Vielfaches effizienter.
Gleichzeitig wird laut den Verkehrsprognosen des Bundes für die kommenden Jahrzehnte ein starkes Wachstum im Güterverkehr prognostiziert, sowohl auf der Strasse wie auf der Schiene. Im Total soll die Güterverkehrsleistung bis 2050 um +31% zunehmen (Bild unten), während etwa die CO2-Emissionen aufgrund technologischer Verbesserungen bis 2040 nur um einen geringen zweistelligen Prozentbetrag abnehmen sollen.
Die heutigen negativen Auswirkungen des Güterverkehrs und die Prognosen zeigen, dass die oben definierten Ziele eines nachhaltigen Umgangs mit der Umwelt bei einem Weiter-wie-bisher bei weitem verfehlt würden. Daraus lässt sich ein grosser Handlungsbedarf ableiten. Dies weicht insofern vom heutigen Vorgehen ab, dass heute oft die Prognosen als gegeben angesehen werden und (politische) Massnahmen darauf ausgerichtet werden, wodurch die Prognosen beinahe selbsterfüllend werden. Doch Prognosen geben nicht die tatsächliche Entwicklung wieder. Sie zeigen nur, wie die zukünftige Entwicklung bei Fortführung der heutigen Trends aussehen könnte. Deshalb sollte meiner Meinung nach mehr von den Zielen aus abgeschätzt werden, was zu deren Erreichen unternommen werden muss, als von den Prognosen auszugehen.
Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Güterverkehrs
Nun fragt sich, wie die negativen Auswirkungen des Güterverkehrs reduziert werden können, um das definierte Ziel eines nachhaltigen Umgangs mit der Umwelt zu erreichen. Dabei lässt sich zwischen verschiedenen Strategien unterscheiden: Erstens technische Verbesserungen an den Strassenfahrzeugen bzw. dem Rollmaterial. Zweitens durch Reduktion des Güterverkehrs, was wiederum durch optimierte Wertschöpfungsketten und Verkehrsströme oder einen Rückgang der Güternachfrage geschehen kann. Und drittens durch Verlagerung von Gütertransporten von der Strasse auf die Schiene.
In meiner Arbeit habe ich aufgezeigt, was von den Unternehmen einerseits - und damit insbesondere der SBB Cargo als mit Abstand wichtigstem Akteur - und von der Politik andererseits unternommen werden kann. Im Folgenden möchte ich nun exemplarisch drei mögliche Massnahmen für die Weiterentwicklung des Güterverkehrssystems aufzeigen, an welche wahrscheinlich nicht als erstes gedacht wird.
Ein erster Massnahmenbereich betrifft die Raumplanung. Heute wird der Güterverkehr nur in den wenigsten Kantonen in der Raumplanung gross berücksichtigt. So wurden viele Logistikstandorte aus den Städten gedrängt, etwa um Wohnraum zu schaffen. In Folge müssen Lkws und Lieferwagen bei der Endverteilung längere Wege vom Umschlagzentrum zum Endziel zurücklegen. Hier könnte durch die Sicherung von Flächen für den Umschlag von Gütern gegengesteuert werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, grosse Logistikstandorte zu einem Gleisanschluss zu verpflichten. Auch können Vorgaben gemacht werden, welche Mengen auf der Schiene transportiert werden müssen - was beispielsweise bei grossen Kiesabbaustandorten teils bereits gemacht wird - um Anwohner vor zu grosser Schadstoff-Belastung zu schützen. Allerdings muss bedacht werden, dass solche raumplanerischen Massnahmen nur langfristig wirken.
Indem die Eisenbahnunternehmen attraktive Angebote für ihre Kunden schaffen und so ihre Bedürfnisse befriedigen, können Kunden für die Schiene gewonnen werden. Eine wichtige Verbesserung besteht im Angebot einer Logistikkette von Tür zu Tür aus einer Hand. Heute führt die SBB Cargo oft nur den Bahntransport durch, während die Kunden den übrigen Teil der Reise selbst organisieren müssen. Doch diese möchten oftmals nur, dass ihre Ware ankommt, ohne viel selbst unternehmen zu müssen. Deshalb sollte die SBB Cargo ihr Geschäftsmodell von einem reinen Güterverkehrsunternehmen zu einem Logistikdienstleister erweitern, der die gesamte Transportkette und eine breite Palette an Dienstleistungen aus einer Hand anbietet. Dies kann etwa durch Partnerschaften mit anderen Unternehmen geschehen. In Folge würde der Aufwand bei einer Verlagerung auf die Schiene massiv vereinfacht. Die Abbildung unten zeigt mögliche Servicemodule, die angeboten werden könnten.
Die besprochenen Massnahmen würden zu einer Veränderung der Verkehrsströme und insbesondere zu einer Verlagerung auf die Schiene führen, womit auch in der Verkehrsinfrastruktur Veränderungen vonnöten sind. Doch sollte die Infrastrukturpolitik nicht wie heute üblich allein auf die prognostizierte Verkehrsentwicklung ausgerichtet werden, als Politik zur Engpassvermeidung. Denn die Verkehrsinfrastruktur hat eine sehr starke Lenkungswirkung, die oft unterschätzt wird. Mehr Strassen führen nicht nur zu einer Entlastung, sondern führen wiederum zu Mehrverkehr. Zudem sind auch die Grundlagen der heutigen Verkehrsinfrastrukturpolitik, also die Prognosen, von grosser Unsicherheit geprägt. Deshalb plädiere ich dafür, die Verkehrsinfrastruktur weniger auf Prognosen, sondern mehr auf die Ziele der Weiterentwicklung auszurichten. Die Verkehrsinfrastruktur sollte als Lenkungsmassnahme verstanden werden. Dies würde im Hinblick auf einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt bedeuten, das Strassennetz nur noch vorsichtig und in Einzelfällen auszubauen und nicht in grossen Ausbauschritten flächendeckend die Kapazität zu erhöhen.
Die hier beschriebenen Massnahmen sind nur ein kleiner Teil der möglichen Massnahmen, die zum Erreichen eines nachhaltigen Güterverkehrssystems beitragen können und sollen zeigen, dass auch unkonventionelle Lösungen in Betracht gezogen werden müssen. Weitere mögliche Massnahmen wie die Einführung der automatischen Kupplung können in der Maturaarbeit nachgelesen werden, welche zum Download zur Verfügung steht.
Schlussworte
Mir war von Anfang an klar, dass meine Maturaarbeit mit Nachhaltigkeit zu tun haben wird, da dies eine der grössten Herausforderungen darstellt und Lösungen in allen Bereichen unseres Lebens gefragt sind.
Abschliessend möchte ich etwas näher darauf eingehen, was ich durch die Maturaarbeit gelernt habe. Ein erster wichtiger Punkt in Bezug auf die Nachhaltigkeit war, dass es verschiedenste Nachhaltigkeitsverständnisse gibt, welche unterschiedlichste Schlussfolgerungen zulassen. Je nach Definition wird der eine oder andere Punkt stärker gewichtet. Hier ist es meiner Meinung nach wichtig, dass man zwar alle Aspekte von der Umwelt über die Wirtschaft bis zur Gesellschaft miteinbezieht, aber die Umwelt als zentrale Leitplanke versteht, da sie unsere Lebensgrundlage ist und ohne sie nichts funktionieren würde. Ausserdem ist mit Nachhaltigkeit immer eine langfristige Sichtweise gemeint.
Eine weitere Erfahrung war, dass auch in einem auf den ersten Blick kleinen Bereich enorm grosse Veränderungen anstehen, wenn man das Ziel der Nachhaltigkeit erreichen möchte. So macht der Güterverkehr zwar nur einen geringen Anteil an den Treibhausgasemissionen der Schweiz aus, doch wenn man Klimaneutralität erreichen möchte, müssen schliesslich auch in diesem Bereich die Emissionen auf netto Null gesenkt werden.
Der wohl interessanteste und spannendste Teil der Arbeit war das Durchführen der Interviews. Und obwohl alle Interviewpartner letztlich das Ziel eines nachhaltigen Umgangs mit der Umwelt anstrebten, gab es doch verschiedenste Ansichten dazu, wie dies zu schaffen sei. Dies verdeutlicht einmal mehr, dass es kein Patentrezept für einen ökologischen Wandel gibt und es letztlich auf die Summe der einzelnen umgesetzten Massnahmen ankommt.
Der Güterverkehr ist ein wichtiges und essenzielles Standbein unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Auch in diesem, für die breite Öffentlichkeit relativ unsichtbaren Bereich, müssen grosse Veränderungen umgesetzt werden, um eine nachhaltige Lebensweise zu erreichen. Doch wie genau die Zukunft aussehen wird, ist schwierig vorherzusagen und es bleibt spannend, wie sich der Güterverkehr und letztlich unser gesamtes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem entwickeln wird.
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