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  • Marvin Offenhäuser

Klimaneutral im Jahr 2050 – eine Solothurner Gemeinde auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel



Vor knapp einem Jahr stand ich vor der Aufgabe, ein Thema für meine Maturaarbeit zu wählen. Bei der Wahl liess ich mich von drei Aspekten leiten: persönliche Betroffenheit, Aktualität, Nutzen der Arbeit.


Persönliche Betroffenheit

Der Klimawandel ist eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit. Wenn wir eine einigermassen prosperierende, lebenswerte Zukunft für möglichst viele Menschen auf dem Planeten ermöglichen wollen, ist es unerlässlich, zumindest die international vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis im Jahr 2050 Netto-Null Treibhausgase auszustossen. Natürlich ändern wir in unserem kleinen Land das Klima der Welt nicht, umso mehr, als sich wachstumsstarke Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien sehr ambivalent verhalten. (China z.B. plant 2023 den Zubau von 106 Gigawatt Kohlestrom).

Nichtsdestotrotz bin ich zutiefst überzeugt, dass wir zuerst unsere eigenen Hausaufgaben lösen müssen, bevor wir die anderen belehren, was sie zu tun haben. Das beginnt im Kleinen, z.B. im eigenen Haushalt (Anmerkung: wir decken bei uns zu Hause bereits seit acht Jahren einen Teil des Strombedarfs mit Solar) oder eine Stufe höher, dem Gemeinwesen – in meinem Fall also die Wohngemeinde Schönenwerd.


Aktualität

Vor einem Jahr befand sich Europa unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine in Schockstarre. Die Energiepreise gingen durch die Decke. Die fatale Abhängigkeit, insbesondere Deutschlands, von russischem Gas deckten die eklatanten Schwächen in der Energiestrategie auf dem Kontinent schonungslos auf. Die Furcht vor Blackouts machte die Runde. Die Schweiz baute gar für eine halbe Milliarde Franken ein Notkraftwerk, notabene gasbetrieben, das erst vor wenigen Wochen Einsatzbereitschaft erlangte. Mir wurde klar: eine nachhaltige Energieversorgung bedeutet mehr als nur möglichst viele Solarpanels oder Windräder zu bauen. Es geht um einen klugen Mix von CO2 neutralen Energiequellen, verbunden mit der entsprechenden Infrastruktur, ohne unkalkulierbare Abhängigkeiten von aussen, seien das französische Atomkraftwerke oder eben russisches Gas.


Nutzen der Arbeit

Mit meiner Themenwahl hatte ich ein bisschen Glück. Meine Wohngemeinde verfolgt, wie die Vorabklärungen zeigten, keine Energiestrategie. So kam es, dass ich zur richtigen Zeit anklopfte und mit grossem Support der zuständigen Behörde unterstützt wurde. Der Austausch mit den Mitgliedern des Gemeinderats und Energieexperten zum Teil vor Ort während der Arbeit waren extrem spannend und das Gefühl, etwas Nützliches zu tun, war sehr motivierend.



Erkenntnisse

Wie erwähnt, fehlt es der Gemeinde Schönenwerd bislang an einer konkreten Strategie zur Erreichung der avisierten Klimaziele. Über die Gründe dafür kann ich nur spekulieren. Wahrscheinlich ist es eine Kombination zweier Faktoren: schlechte Finanzlage der Gemeinde und fehlende Priorisierung aufgrund der politischen Konstellation. Zu erwähnen ist, dass auf Stufe Gemeinderat keine Parteien mit einer dezidierten umweltpolitischen Agenda vertreten sind (konkret weder SP, GLP oder Grüne stellen Mitglieder).


Die Grösse der Gemeinde an sich stellt kein Hindernis dar, um sich klare Ziele hinsichtlich der CO2 Emissionen zu setzen. Meine Umfrage unter ähnlichen Gemeinden im Kanton Solothurn hat gezeigt, dass innerhalb der Peergroup viele bereits eine dezidierte Energiestrategie verfolgen oder aber in Planung haben.

Es gibt aber auch «Good News» in Bezug auf meine Wohngemeinde. So hat die Untersuchung des Gebäudeparks der Gemeinde (Schulhäuser, Gemeindeverwaltung, Werkhof) ein sehr gutes Potential für den Zubau von Solarenergie aufgezeigt. Auf den untersuchten Dachflächen könnten mindestens 5'000 Quadratmeter Solarpanels installiert werden, womit nebst der Deckung des Strombedarfs jährlich über 230'000 kWh Strom eingespiesen werden könnten. Mithin wären die notwendigen Investitionen von rund CHF 1.5 Mio. innerhalb von knapp elf Jahren amortisiert. Die Ernte dieser «low hanging fruit» sollte die Gemeinde raschmöglichst in die Planung aufnehmen. Auf der Plus-Seite ist auch zu erwähnen, dass die Gemeinde Schönenwerd in nicht unwesentlichem Umfang bereits vom Fernwärmenetz Niederamt profitiert.


Ein weiterer Aspekt, der mir im Rahmen der Arbeit aufgefallen ist und auch grosse Dienste geleistet hat, sind die zahlreichen Hilfestellungen und Programme, die heute für die Ausarbeitung einer Energiestrategie auf Stufe Gemeinde zur Verfügung stehen. Prominent ist das Energiestadt-Label, das insbesondere für Städte oder grössere Kommunen eine Rolle spielt. Während das Label für eine Stadt de facto ein «Muss» ist, präsentiert sich die Situation für Gemeinden möglicherweise differenzierter. Die Energiestrategie wird einer Bürokratisierung unterworfen, die wiederkehrende Kosten verursacht und die sich deshalb weniger gut für Gemeinden mit limitierten Ressourcen anbietet. In diesem Sinne scheint es mir praktischer, wenn sich eine kleine Kommune eine eigene und nicht zertifizierte Strategie ausarbeitet.


Wie oben mit dem Solar Beispiel angedeutet, gibt es in jeder Gemeinde mit Sicherheit Potenziale, um die Energieeffizienz zu erhöhen und damit den CO2 Ausstoss des Gebäudeparks zu senken. Dazu braucht es nicht zwingend eine ausgeklügelte Strategie, jedoch eine vorausschauende Analyse und Planung des Machbaren im Einklang mit den finanzpolitischen Gegebenheiten.


Reflektierend lässt sich sagen, dass ich sehr viel im Bereich Netto-Null dazu gelernt habe. Nicht nur hat mich dieses Projekt über das Thema sensibilisiert, sondern es hat mir auch aufgezeigt, wie komplex dieses nationale Ziel ist und dass es eben gerade nicht nur einen richtigen Lösungsansatz zur Überwindung unserer Klimaherausforderung gibt.

Ich bin sehr dankbar, dass die Arbeit mit der Gemeinde so reibungslos funktioniert hat und hoffe, dass diese noch weiter von meinem Projekt profitieren kann. Persönlich jedoch denke ich, dass sich zu wenig tut, vor allem in den Köpfen der Menschen. Kleine bis mittlere Gemeinden sehen sich zu wenig in der Verantwortung eine Vorreiterrolle einzunehmen. Letztlich, und das ist die nüchterne Betrachtungsweise des Schreibenden, der auch künftiger Steuerzahler in der Gemeinde Schönenwerd ist: Es ist schwer vorstellbar, dass die Gemeinde in den kommenden Jahren grosse Energieprojekte in Angriff nehmen kann oder will, gerade wenn man sich die schlechte finanzielle Lage der Gemeinde und die damit verbundenen Sparmassnahmen vor Augen führt.

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